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Gazelle Vollhase im Interview: “Habe den Recruiting-Job geliebt”

8 min.
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Früher hat GAZELLE VOLLHASE Talente gesucht. Heute folgen der Komikerin über 600.000 Menschen auf Social Media. Anlässlich der Veröffentlichung ihres erstens Buches blickt die Diversity-Pionierin im Interview auf ihren Wandel zurück. 

Dieses Interview ist im HIRE Magazin “Gute Leute” von XING erschienen.

Gazelle Vollhase: Rückblick auf die Zeit als Recruiterin

HIRE: Nach zehn Jahren im Recruiting hast Du 2023 den Job gewechselt. Was hat Dich zu diesem Schritt bewogen? 

Gazelle Vollhase: Ich habe den Recruiting-Job geliebt. Aber ich wollte schon als Kind Schauspielerin oder Komikerin werden. Als es mit TikTok und Instagram so gut funktionierte, wurde es irgendwann nicht mehr zu händeln. Ich hatte einen 30-Stunden-Job, der bereits stressig war, aber zusätzlich kam das Social Media Game dazu. Am Ende entschied ich mich, meinen Traum zu verwirklichen.  

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Welche Aufgaben hattest Du als Recruiterin?  

Ich war ganz klassisch Headhunterin: mit Leuten sprechen, sie interviewen und einstellen. Erst war ich im Bereich Marketing, PR und Kommunikation aktiv, dann im Finance, Einkauf und in der Logistik, und zuletzt habe ich Software- und Data Engineers rekrutiert. Ich habe die gesamte Bandbreite in der Personalberatung kennengelernt, in den letzten drei Jahren auf der Corporate-Seite bei idealo. 

In dieser Zeit hat sich so einiges im Recruiting verändert. 

Als ich 2012 mit Recruiting anfing, habe ich bei XING Leute angeschrieben. Damals war es noch verpönt, die Leute direkt zu kontaktieren! Ich denke oft daran zurück. Das war die Zeit, in der wir alle lernen mussten, wie Business-Netzwerke funktionieren, wie wir sie richtig nutzen können und wie wir die passende Ansprache finden. Heute ist es völlig normal.  

Recruiting hat sich gewandelt, aber auch Du selbst. Du hast in deiner HR-Zeit erkannt, dass Du eine trans Frau bist. 

Ich war in der Überzeugung gefangen, Geld verdienen und Karriere machen zu müssen. Ich trug einen Anzug, in dem ich mich nie wirklich wohlgefühlt habe. Dieser gab mir zwar Sicherheit, weil er meine Rolle im Unternehmen repräsentierte. Gleichzeitig fühlte ich mich wie in einem Korsett, denn am Wochenende kleidete ich mich ganz anders. 

Was hat sich dann verändert? 

Bei idealo gab es keinen Dresscode. Plötzlich eröffneten sich mir ganz neue Welten! So kam es, dass ich auch unter der Woche viel mehr ich selbst sein konnte. Als ich entdeckte, dass ich eine trans Frau bin, begann ich Stück für Stück, mich auszuprobieren – auch in meinem Job. 

Wie hat Dein berufliches Umfeld darauf reagiert? 

Durchweg positiv. Es gibt einen Moment, der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Während eines Team-Events sagte meine Teamleiterin zu mir: „Wow, dein Eyeshadow ist so schön! Trag den doch auch im Büro.“ Ich war erstaunt und erwiderte, dass ich doch das Unternehmen repräsentieren müsse, woraufhin sie meinte: „Ja, genau.“ 

Gazelle mit neuem Buch “Never not changing”

Wie hast Du es Deinem Team mitgeteilt?  
 
Ich sagte: „Hallo, ihr seht mich hier noch mit Bart, aber ich wollte euch nur sagen, ich bin Gazelle und eigentlich eine Frau. Ich möchte das jetzt mit euch teilen. Ich hoffe, das ist okay. Denn ich will nicht warten, bis alles perfekt ist, sondern ich möchte mich jetzt wohlfühlen.“  

„Never not changing“ heißt das Buch, das Du mit Deinem Partner Gialu geschrieben und kürzlich veröffentlich hast. Was hat Euch dazu motiviert? 

Gialu und ich hatten beide schon darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben. Ich habe Literatur und Kultur studiert, und immer schon eine Liebe zur Sprache gehabt. Dann kam Gialu mit dem Verlag ins Gespräch. Es sollte kein klassisches Fachbuch zum Thema trans sein.  
 
Sondern? 
 
Wir wollten eher Geschichten erzählen. Anekdoten, die niedrigschwellig viele Menschen ansprechen. Es war uns wichtig zu vermitteln, was es bedeutet, trans zu sein. Dass wir auch nur Menschen sind. Und was in uns vorgeht. Unsere Geschichten sind nicht nur für trans oder queere Menschen gedacht, sondern für alle. Wir wollten die Themen Veränderung, Selbstliebe und Selbstfindung im Titel aufgreifen.  

Im Recruiting wird oft mit „Schubladen“ gearbeitet, etwa in Form von Candidate Personas oder Profilen. Konntest Du Dich aufgrund Deiner eigenen Entwicklung von dieser Schubladen-Denke lösen? 

Queer zu sein hat mir geholfen. Ich habe auch dank meines privaten Umfelds verstanden, dass ich mich mit anderen Realitäten auseinandersetzen und sie verstehen sollte. Auch das Lesen von Büchern hilft sehr, um andere Lebensrealitäten kennenzulernen. All das ermöglichte mir, mich von meinen eigenen Schubladen besser zu distanzieren.  

Wie man ein Diversity-Programm aufsetzt

Du hast Dich den letzten Jahren Deiner HR-Karriere für Diversity bei idealo eingesetzt und ein Programm aufgesetzt. Welche Herausforderungen gab es dabei? 

Als ich zu idealo kam, war das Unternehmen stark im Wachstum. In schnell wachsenden Unternehmen, besonders im Tech-Bereich, wird oft der Moment verpasst, zu klären, wen man einstellen möchte und wie Diversität gefördert werden kann. 

Du warst also zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Person. 
 
Ich schlug vor: „Lass uns etwas unternehmen und klare Ziele setzen.“ Die Geschäftsführung und das HR-Team waren sofort offen dafür. Wir nutzten bereits vorhandene Ideen und führten gleichzeitig neue Ansätze ein, um das Bewusstsein für Diversität zu schaffen. 

Wann konntet Ihr erste Erfolge sehen? 

Die Gender-Balance ist tatsächlich sehr schnell und deutlich gestiegen. Dank der Awareness, die wir geschaffen haben, der Programme, die wir implementiert haben, und der Kampagnen, die wir geschaltet haben. Nach drei Jahren kamen wir unserem Ziel bereits schon sehr, sehr nahe, was ein großer Erfolg ist für ein Tech-Unternehmen ist. 

Diversitätsfördernde Programme und Initiativen erleben derzeit heftigen politischen Gegenwind. Was löst das Dir aus? 

Als Trump verkündete, dass es in den USA nur noch zwei Geschlechter geben soll und alle trans* Menschen wieder auf das Geschlecht ihrer Geburt zurückgehen müssen, habe ich das Haus nicht verlassen. Das ist extrem beängstigend und macht mich sehr traurig. Es ist schrecklich, weil trans* Menschen schon immer existiert haben. Aber: Ich bin hier, ich werde hier bleiben, und kein alter weißer Mann – egal ob Präsident oder Kanzler – wird das ändern. 

Wie geht es Dir damit, dass viele namhafte Firmen diese Programme jetzt aufgeben? 

In den letzten eineinhalb Jahren höre ich immer mehr Unternehmen sagen: „Sind wir mit der Diversität jetzt fertig?“ Sie feiern einmal im Jahr Pride, haben mehr Frauen eingestellt und denken, das reicht. Dabei braucht es einen langen Atem, um mit den Reibungen umzugehen, die sich daraus ergeben. Ich finde es schade, dass viele nicht durchgehalten haben.  

Diversität – Die Vorteile liegen auf der Hand

Was geht verloren? 

Diversitätsarbeit bringt Reibungen mit sich. Wenn Du unterschiedliche Menschen zusammenbringst, sitzen da nicht einfach sechs Michaels im Team, die an der Software arbeiten und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Stattdessen arbeitest Du an einem Produkt, das vielfältiger, diverser und dadurch besser wird. Das bedeutet auch, dass die Menschen, die zusammenarbeiten, stärker kommunizieren müssen. 

Was hast Du für Dich als Person mitgenommen aus Deiner HR-Zeit?  

Wirklich viel! Es ist praktisch, wenn man in die Selbstständigkeit geht und ein wenig versteht, wie die Industrie funktioniert. Ich kenne andere Influencer·innen, die möglicherweise jünger sind und weniger Berufserfahrung haben. Sie sind oft überfordert von den vielen Begriffen und der ganzen Arbeitsweise. Zudem war ich eine echt gute Recruiterin. Zur Not könnte ich jederzeit zurückkommen, denn das ist mein Handwerk.  

Auf einer Skala von 1 (völlig abwegig) bis 10 (sehr realistisch): Wie sehr könntest Du Dir eine Rückkehr ins Recruiting vorstellen? 

10. Ich vermisse es nicht immer so aktiv. Aber ich habe es super gerne gemacht. 

Interview: Yee Wah Tsoi

Expert·innen-Tipps: So fühlen sich Trans-Personen in deinem Unternehmen wohl(er)

In Unternehmen und in Einstellungsprozessen findet häufig bewusste und unbewusste Diskriminierung statt. Hier sind einige Tipps, wie du dein Arbeitsumfeld inklusiver für trans* Personen gestalten kannst: 

  1. Pronomen in Meetings: Es ist hilfreich, sich mit den eigenen Pronomen vorzustellen, z.B. „Hi, ich bin Gazelle, meine Pronomen sind sie/ihr.“ 
  2. Pronomen in E-Mail-Signaturen: Diese zu verwenden, normalisiert die Nennung und schafft Bewusstsein. 
  3. Sprach-Guidelines: Unternehmen sollten gender-inklusive Sprach-Guidelines für interne und externe Kommunikation einführen. 
  4. Inklusive Begriffe: Verwende gender-neutrale Begriffe wie „Bewerber·innen“ und „Mitarbeiter·innen“, um Vorurteile abzubauen. 
  5. Richtiger Name statt Deadname: Trans· Personen sollten nach Möglichkeit ihren richtigen Namen verwenden können, auch wenn dieser noch nicht offiziell geändert wurde. 
  6. Gender-neutrale Toiletten: Markiere einige Toiletten einfach als gender-neutral oder erkläre sie als solche, um nicht-binären Personen und trans· Personen in Transition zu helfen. 
  7. Positive Unterstützung: Ermutige Mitarbeiter·innen, sich so zu schminken und zu kleiden, wie sie sich wohlfühlen. 

Verkürzter und zusammengefasster Auszug aus dem Buch Gialu & Gazelle: NEVER NOT CHANGING – 25 erste Male

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