In Zeiten von Facility Manager·innen, Growth Architects und Principals, die je nach Unternehmen völlig verschiedene Aufgaben übernehmen, werden Jobtitel immer weniger verlässlich. Titel wie „Head of“ oder „Director“ klingen nach umfassender Verantwortung. Doch manchmal ist eine solche Rolle eher operativ angelegt. Andere Titel wirken modern, beschreiben aber letztlich bekannte Tätigkeitsmuster.
Für Recruiter·innen bedeutet das: Orientierung entsteht nicht über den Titel – sondern über die Mechanismen, Erwartungen und Strukturen, die hinter der Rolle stehen. Hier sind ein paar Tipps, wie Sie im Bewerbungsgespräch einen Blick „hinter den Titel“ werfen können.
Die Grundfunktion der Rolle bestimmen
Jede Rolle erfüllt einen zentralen Zweck – etwa steuern, entwickeln, ausführen oder unterstützen. Wenn Sie diesen Kern identifizieren, verstehen Sie schneller, wo die Rolle organisatorisch verankert ist und welche Art von Verantwortung sie tatsächlich trägt.
Den Wertbeitrag der Rolle sichtbar machen
Fragen Sie gezielt, welchen konkreten Beitrag die Position leisten soll: Soll sie Umsatz beeinflussen, Prozesse verbessern, Wissen aufbauen oder Teams führen? Der erwartete Wertbeitrag zeigt deutlich, wie strategisch oder operativ die Rolle wirklich ist – unabhängig vom Titel.
Leitfaden
Bewerbungen checken
Wie Sie Lebenslauf, Anschreiben und Zeugnisse richtig unter die Lupe nehmen
Die Unternehmensgröße berücksichtigen
Titel haben in kleinen und großen Organisationen unterschiedliche Bedeutung. Ein „Head of“ in einem Start-up arbeitet de facto oft operativ, während dieselbe Bezeichnung in Konzernen klar definierte Führungsstrukturen voraussetzt.
Entscheidungsspielräume klären
Statt allgemein über Verantwortung zu sprechen, lohnt es sich, den tatsächlichen Entscheidungsspielraum einer Rolle konkret zu erfassen. Welche Entscheidungen eigenständig getroffen werden, welche Abstimmungen erfordern und wo klare Grenzen des Mandats liegen, zeigt sehr deutlich, wie viel Autonomie die Position wirklich mitbringt.
Einfluss und Reichweite der Rolle verstehen
Der Einfluss einer Position zeigt sich im Alltag oft stärker als in Organigrammen. Welche Stakeholder regelmäßig eingebunden werden, auf welche Projekte die Rolle Wirkung entfaltet und in welchen formellen oder informellen Foren sie präsent ist, verdeutlicht, wie sichtbar und wirkmächtig die Funktion tatsächlich ist – unabhängig vom offiziellen Titel.
Die Entstehungsgeschichte der Rolle nachvollziehen
Die Herkunft einer Rolle verrät häufig mehr über ihren Charakter als der Titel selbst. Ob eine Position strategisch entwickelt wurde, um einen klaren Bedarf zu adressieren, oder kurzfristig entstanden ist, um eine operative Lücke zu schließen, lässt Rückschlüsse auf Reifegrad, Erwartungshaltung und Passung des Titels zu.
Typische Warnsignale für Titel-Inflation
Titel-Inflation liegt vor, wenn ein Jobtitel größer klingt, als die tatsächliche Rolle ist. Hinweise darauf können sein:
- Hohe Titel in sehr kleinen Organisationen: Ein „Head of“ ohne Team oder ein „Director“ in einem Start-up mit fünf Mitarbeitenden kann auf eine überzogene Titelnutzung hinweisen.
- Ungewöhnlich frühe Seniorität im Lebenslauf: Rasche Titelaufstiege ohne spürbare Erweiterung von Verantwortung sollten aufmerksam machen.
- Fehlende Entscheidungskompetenzen bei Führungsbezeichnungen: „Lead“ oder „Head“ ohne echte Autonomie deutet eher auf ein Titellabel als auf eine Senior-Rolle hin.
Schnell-Check: 10 Interviewfragen, die Titel-Inflation in Sekunden entlarven
1. „Über welches Budget haben Sie in Ihrer letzten Rolle konkret verfügt?“
Wer wirklich Verantwortung hatte, kennt Zahlen. Unklare, ausweichende oder extrem runde Beträge sind Warnsignale.
2. „Wie viele direkte und indirekte Mitarbeitende haben Sie geführt – und wie oft fanden formale Mitarbeitendengespräche statt?“
Ein echter Head of kann Teamstrukturen sofort benennen. Antworten wie „Ich habe mit allen zusammengearbeitet“ oder „Wir waren eigentlich ein sehr flaches Team“ deuten häufig auf eine Ein-Personen-Abteilung hin.
3. „Welche Entscheidungen konnten Sie eigenständig treffen – und welche mussten Sie eskalieren?“
Diese Frage zeigt, ob eine Führungsrolle Substanz hatte oder nur im Titel existierte.
4. „Wie sah Ihr typischer Wochenkalender aus?“
Führungskräfte sprechen hier über Strategie-Reviews, Budget-Check-ins, Stakeholder-Meetings.
Nicht-Führungskräfte berichten primär über operative Tätigkeiten.
5. „Wofür wurden Sie am Ende des Jahres konkret accountable gemacht?“
Entscheidend: Welche KPIs, welche Zielsysteme, welche Verantwortungsträger? Wer keine klare Antwort hat, hatte meist auch keine echte Führungsverantwortung.
6. „Welche Projekte haben Sie geleitet und welche Rolle hatten Sie darin im Detail?“
Achten Sie auf Verben: steuern, priorisieren, delegieren, verantworten. Fehlen diese – und dominieren operative Tätigkeiten – ist der Titel vermutlich überhöht.
7. „Beschreiben Sie Ihre größte Führungsentscheidung der letzten 12 Monate.“
Echte Führungskräfte nennen Konflikte, Umstrukturierungen, Budgetanpassungen. Titelträger ohne Führungserfahrung nennen oft fachliche Aufgaben.
8. „Wie haben Sie Ihr Team entwickelt?“
Konkrete Beispiele zu Coaching, Karrierepfaden und Performance-Management sind Indizien echter Führung. Vage Aussagen („Ich war immer für das Team da“) sind ein deutliches Warnsignal.
9. „Wer war auf Ihrer Ebene – und wer über Ihnen?“
Eine simple Strukturfrage, die sofort aufdeckt, ob jemand tatsächlich Teil einer Führungsebene war oder nur allein arbeitete.
10. „Welche Führungsinstrumente haben Sie aktiv genutzt?“
360-Grad-Feedback, OKRs, Ressourcenplanung, Jahresbudgetierung – echte Führung zeigt sich an echten Tools.
Fazit
Der Arbeitsmarkt produziert immer häufiger „Chiefs ohne Team“ und „Heads ohne Budget“. Für Recruiter·innen und Führungskräfte bedeutet das: Die Qualität der Interviewfragen entscheidet direkt über die Qualität der Einstellungsentscheidung. Wer hier präzise prüft, spart Kosten, reduziert Fehlbesetzungen und stärkt die Teamleistung von Tag eins.